Ana's Blog

Als vor ein paar Wochen mein jüngerer Teamkollege hochstimmungstrunken zu Beginn meiner Mittagspause auf mich zueilte, um mir von einer für uns wohl passenden Fortbildung zu berichten, verfiel ich reflexartig erst einmal in sofortige Skepsis.

Klettern. Therapeutisches Klettern. An einer 2 Meter hohen Wand.

Ich aktivierte kurzerhand das räumliche Denken in meinem intermezzischen Work-off-Modus und überlegte in Metereinheit und Kopfnackenneigungswinkel, wie hoch die Türrahmen in meiner Mietwohnung wohl seien. Darauf packte mich ein helles sarkastisches Lachen, welches von der plötzlichen Intensität der Beschallung aber nicht aus dem Körper dringen konnte, sondern sein Unheil eher im Hülleninteriör verrichtete.

Vermutlich ahnte ich insgeheim schon, dass meine Unwissenheit über diese Art von Klettern sich als größer erweisen würde, als vorerst angenommen. Trotzdem schlug meine Mimik antrainierte und misstrauische Runzelfalten zwischen den Augen.

Was sollte ich freiheitssuchendes Wesen mit ausgezeichnetem EuropaParkpferdchen und passionierte Einmal-Fallschirm-Tandemspringerin aus 4000 m Freifall an einer holzigen nachgeahmten 2-Meter-Felswand mit Sandbeschichtung? Ich kassierte verständnislose Blicke, die ich in meiner einzelkämpferischen Situation aber als Denkanimation für die anderen deuten wollte und vorerst nicht für meine eigene Reflexion akzeptierte.

Mein Konzept geriet völlig aus dem Häuschen, als sich plötzlich mein Chef auch noch von der Euphorie meines Kollegen anstecken ließ und sich als fanatischer Kletterfreund auf dem therapeutischen Sektor zu erkennen gab. Ich stand vor einer Wand.

Wie konnte ich dem ganzen entkommen, denn der Tag X näherte sich und mein Körper begann wohl unbewusst gegen das bevorstehende Ereignis akribisch zu arbeiten. Ich verfiel der hartnäckigen Influenza und eine kurzfristige rotzige Episode begann. Die Auswirkungen waren von heftiger Natur, so dass ich sogar einen Tag vor dem angemeldeten Termin frühzeitig von der Arbeit nach Hause musste, da mein Körper mit dem Antivirenprogramm immens überfordert war.

Würde ich es durchziehen oder aufgeben? Im Ernst jetzt, wir sprechen hier von käsigen 1,52 m gegen gigantische 2 Meter! 🙂

Ich sagte Ja.

Tag 1

Eine Gruppe aus 14 sportiv gekleideten Menschen sitzt schon im Gruppenraum als mein Kollege und ich herein kommen und ein freundliches „Hallo“ in die Runde werfen, bevor wir etwas unsicher Platz nehmen. Das Echo hält sich noch etwas in Grenzen, denn vermutlich wurden wir gerade beim Betreten dieses Raumes in einem kurzen Check-in-Check-up auf Wirbelsäulenhaltung, Gangbild und Beinlängendifferenz geprüft.

Ein noch eher ruhiger Referent versteckt sich hinter seinem überdimensionalen Laptop und schaut erst einmal sympathisch freundlich in die Runde, bevor er sich seinem Lehrinhalt auf dem Bildschirm wieder widmet.

Sport-und Physiotherapeuten für 1,5 Tage in einem Raum. 13 Frauen und 2 Männer. Es geht los.

Obligatorische Vorstellungsrunde, Beamer-Arbeit und Mitschreiben und letztendlich mit der Hand an die Wand. Praxis.

Richtiges Stehen an der Wand.

Nach kurzer Demonstration des Referenten geht’s los. Was so einfach aussieht ist in Wirklichkeit eine Kombination aus Festhalten, Schulter unten lassen, Becken aufrichten, unteren Rücken anspannen, Knie gebeugt, Fersen hochhalten und ganz wichtig: ein entspanntes Lächeln.

Am Lächeln an der Kletterwand werden 2 Arten von Menschen typisiert. Während die meisten Männer einen animalischen und furchterregenden Gesichtsausdruck entwickeln, erstarrt die Gesichtshaut der Damen zu einem erfrorenen und verkrampfenden Belastungslächeln. Der Vorteil ist wohl, dass die Wand nicht als Korrekturspiegel gilt, sonst wäre die kleine Horrorshow gesichert.

Die Kräftigungsübungen erweisen sich ebenso als kontinuierliche Herausforderung und die Partnerübungen werden von den körperorientierten Teilnehmern ernst genommen, so dass ein strenger Verbesserungsblick an der Tagesordnung liegt.

Nach ein paar Mal Griffe Festklammern und die Ausgangsposition üben, entdecke ich bereits die ersten rot-irritierten Hautstellen an den Handinnenflächen und entwickle erste Anzeichen von Hornhautphobie.

Zwischendrin unterhält uns unser Referent Thorsten, ein Kölner Jung, mit ein paar lustigen Videos von anderen Teilnehmern, die sich an den Kletterwänden austoben bis hin zu einem 80jährigen Mann, der sich durch diesen Ursprungssport fit hält, denn Klettern kann jeder und wir haben alle im Kindesalter uns irgendwann am Kinderbettchen hochgezogen, ohne dass es eine Gebrauchsanweisung dafür gab.

Tag 2

Leicht muskelverkatert trifft man sich bereits im Frühstücksraum und die Atmosphäre wirkt um einiges entspannter, da man sich nun schon etwas kennt.

Wir nehmen diverse Krankheitsbilder durch und bekommen aufgezeigt, wie vielfältig Klettern ist und wo es überall einsetzbar ist. Verblüffend denke ich und lasse mich weiter inspirieren von Kleingeräten, die in Kombination mit der Wand mich eindeutig an meine Grenzen bringen.

Der Kurs wird kreativer. Wir entwickeln eigene Übungen und machen sie uns gegenseitig nach, um zu spüren, welche Muskeln betätigt werden bzw. erst gar nicht vorhanden sind.

Eine nüchterne Analyse für mich, zu erkennen, dass mein vorhandenes Fitnesslevel für meinen Arbeitsalltag völlig akzeptabel ist, aber insgeheim ein schwaches Muskelkorsett in mir wohnt. Dennoch lasse ich mich wenig irritieren und bin guter Dinge, bis wir das Slingtraining einsetzen und der erste Liegestütz mit den Füßen in der Schlinge sich anfühlt als würde meine Bauchmuskulatur eine Packung Rittersport Vollnuss sein, die man mit der Intention zum Verzehr ohne weiteres kurz anbricht. Ich setze das Belastungslächeln auf, versuche das Atmen zu unterdrücken, denn ich finde weder Eingang noch Ausgang für die nötige Respiration. Die Kontrollettis feuern mich an, zählen gekonnt rückwärts, ich gebe mein Bestes und knalle irgendwann erschöpft und verschlungen, wie Fallobst, mit den Knien auf den Fußboden. Das Lächeln hält.

Wenig später sieht man mich schon wieder an der Wand mit dem Versuch mich einmal um die eigene Achse zu drehen. Welch Angsthase ich doch manchmal sein kann auf 50 cm Höhe über Linoleumgrund zu eiern und hilfesuchend nach einer starken Hand zu betteln, die mich vom bunten Wandparadies abholt.

So langsam verabschieden sich die eigenen Kräfte. Das Ende des Kurses naht.

Zufriedene Gesichter, ausgepowerte Teilnehmer und hungrig auf mehr.

So besteht der letzte Test auch darin, einen Schokoriegel an der Wand zu öffnen und diesen an Ort und Stelle genüsslich zu vertilgen.

Eine absolut sinnreiche und effektive Selbsterfahrung, mit hohem Spaßfaktor, die ich hier erleben durfte. Die Vorfreude besteht darin, dieses tolle Sportgerät „Kletterwand“ hoffentlich bald in meinen Arbeitsalltag integrieren zu dürfen, um es an andere weiter zu geben.

So lautet das Fazit, welches ich mir nach diesem Kurs zurechtlege:

„Man muss nicht groß sein, um groß zu sein!“ 😉

Anastasia Evgeniou

5 Kommentare

  1. xxCommander

    Klettern ist toll. ergreift und beschäftigt den ganzen Körper. und du schreibst sehr lebendig, dass ist schön 🙂

    An der Wand drehen? Einen Schokoriegel öffnen?? Das geht???

  2. Hallo Leute,

    als systemischer Berater helfe ich Paaren und Familien in Konfliktsituationen. Das ist oft nützlich und erfolgreich. Nur manche Menschen können sich auf so einen Prozess nicht einlassen. Vielleicht sollte ich die zu Anastasia an die Kletterwand schicken?! Allein der Schokoriegel könnte ja schon helfen…

  3. Ralf Konrad

    Als ein Patient der unter Deiner Führung “leiden” (körperliche Qualen) muss, hatte ich einen höllen Spaß (mit Lachanfall) diesen Bericht zu lesen – und auch mal von Dir ein “LEIDEN” zu vernehmen 😉 Mach weiter so….. Ich hoffe Du ließt den Komentar erst wenn ich weider abgereißt bin …. 😉

  4. Thomas Reible

    Hallo Ana,

    Nachdem Du mich auf deine Homepage aufmerksam gemacht hast, lese ich mich gerade durch die einzelnen Berichte und ich muss sagen, dieser hat mir gerade schon fast ein “Dauergrinsen” aufs Gesicht gezaubert.
    Es ist einfach herrlich wie du die Dinge schreibst bzw. beschreibst. Es ist alles so lebendig und voller spürbarer Energie wie deine Kurse hier in der Reha. So sah ich mich dazu ermutigt direkt diesen Kommentar zu schreiben.

    Im übrigen finde ich das Klettern außer einer guten Körperschule auch ein guter Weg sein kann sich mit sich selbst zu beschäftigen und ein prima Ausgleich zu sonstigen “Anspannungen” im Alltag bietet.

    Alles Gute auch für deine weiteren Projekte.

    PS: Ich grinse immer noch
    PPS: “Die Erfahrung ist wie eine Laterne im Rücken; sie beleuchtet stets nur das Stück Weg, das wir bereits hinter uns haben.” (Konfuzius)

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