Slalom und Schwammorra
Und nach dem Wort, kam der Heißluftballon.
Eleonora schnappte nach Luft.
Sie war so hoch geflogen und konnte nicht erahnen, wie es sein würde, wenn ihr üppiger Hintern wieder auf den Boden der Tatsachen aufsetzen würde. Dieser Arsch, dachte sie sich…wie konnte sie nur auf ihn reinfallen…?!
Eleonora war schon längst im Plus-Club angekommen.
Sie war attraktiv und klug und ähnelte der herzhaften Vollweibversion einer kurvigen Pummel-Göttin aus einer autonomen italienischen Provinz in den Bergen. Sie war Geschäftsfrau im elterlichen Gutshof und Weltenbummlerin in ihren Tagträumen.
Sie hatte nun ein Alter erreicht, welches für sie nur noch mit „29 plus“ erwähnenstauglich war.
Sie trug hübsche Kleider in Plus-Size, schluckte täglich fünf verschiedene Vitamin-Plus-Präparate und fürchtete, schon bald Bekanntschaft mit der „Freundschaft Plus“ Kultur machen zu müssen.
Eleonora war alleinstehend, denn sie wollte keinen Standardstatus mit üblich vorgefertigtem Lebenslauf und dem ganzen Pi Pa Pomeranzengarten. Auch wollte sie keinen Mann, der nachts ihr Schlafzimmer beschallt, ihr Bett befurzt und ihre feine weiße Bettwäsche gelb-schwitzt oder besabbert. Und sie wollte auf gar keinen Fall dabei bemerkt werden, wie oft sie mitten in der Nacht aufgrund ihrer beginnenden Blasentransformation die Toilette aufsuchen musste und dabei nie abzog, weil die viel zu laute Klospülung sie komplett aus dem Halbschlaf reissen würde.
Es lag nicht an der Männerwelt. Im Gegenteil. Sie fand es äußerst grausam, wie ihre damaligen Schulfreundinnen sich jeden Dienstag Abend in Maria Lourdes’ Krisen- und Kosmetikstudio „Mary Lou’s Beautique“ versammelten, um sich erst in zuckersüße Lillets und dann in mächtige Kalis zu verwandeln, die wie herrschsüchtige Hexen allesamt und nacheinander ihre Ehemänner verfluchten und nebenbei ihre neu entstandenen Besenreiser mit teuren Wundercremes aus der USA behandelten.
Eleonora mochte alle Menschen, sie traute ihnen nur nicht. Sie war eine von diesen furchtbaren Beifahrerinnen, die ganz alleine mit dem Körpereinsatz ihrer flinken Beine eine ganze Treppen-Shuffle-Challenge im Fußraum eines Autos veranstalten konnte, weil sie lieber selbst am Steuer saß.
Ella, wie sich auch gerne genannt wurde, leitete das Guthof-Hotel auf dem Anwesen ihrer Eltern. Die Geschäfte liefen hervorragend. Sie war tüchtig und ordentlich auf Zack, ihren Gästen einen guten Aufenthalt zu bieten. Sie war von der Empfangsdame bis zur Primadonna Putz-Pandora alles zugleich, aber noch mehr war sie eine gelungene Mischung aus Übermutter, Life Guide und Kabarett, was die Gäste überaus zu schätzen wussten und deshalb auch immer wieder gerne das Hotel aufsuchten.
Nicht zu letzt schien aber das orientalische Kaffee-Rezept von Jamal al Din, einem marokkanischen Taxifahrer, am großen Erfolg beteiligt zu sein. Er hatte einmal Eleonora in Casablanca zum Flughafen gefahren und ihr auf der Fahrt dorthin einen finanziellen Segen in Verbindung eines geheimen Mokka-Rezeptes ausgesprochen. Dieses sollte ab dort an den Gästen auf Kosten des Hauses serviert werden, damit sie immer wieder kamen und anderen davon erzählten.
Unter den zahlreichen Anreisenden befanden sich viele Paare, Hochzeitsgäste und auch einsame Herzen, die sich nicht selten in die Servicekräfte verliebten und auf eine gute Partie hofften.
Für Eleonora kam nie einer in Frage.
Bis eines Tages ER am Empfang stand.
Das gewisse Etwas war nicht zu übersehen. Alles andere schon.
Er hatte Stil, wenn auch nicht seiner.
Es war Chemie. Ungewollte Reaktion.
Sie war verzaubert.
Ihr Dopaminkessel am Dampfen.
Ihre zerebralen Fähigkeiten liefen nur noch per Notstromaggregat.
Kein Links, kein Rechts. Direkt mitten drin. Amor muss ein Sioux gewesen sein.
Er war ein Whop-bop-a-loo-lop-a-whop-bam-boo-Typ. Smart, charmant und überaus anziehend.
Die Luft brannte. Die Zeit rannte.
Nur eine Nacht würde er als Gast bleiben.
Er war geschäftlich hier. Einer von den Pinguinen, wie sie Eleonoras Vater abfällig nannte. Ein Anzugträger und Schwarz-weiß-Denker, der nichts vom echten Leben wusste.
Eleonora spürte ihren Puls pochen, als er Abends in seinem schicken hellblauen Oxford-Button-Down Hemd mit hoch gekrempelten Ärmeln etwas unsicher zum Essen erschien. Sie versuchte sich krampfhaft einzureden, dass er sicherlich nichts anderes könne als gut auszusehen und dass ihr Vater bestimmt Recht hätte.
Vier Stunden später läutete die Kirchenglocke zu Mitternacht.
Sein Name war Bruno und sie sahen einander an, als wäre der andere eine große Spiegelfläche, in der man sich selbst drin sehen konnte. Eleonora hatte sich schon lange nicht mehr auf ihrem Stuhl bewegt. Ihr Körper schien zu schlafen, während ihr Herz in Flammen stand.
Bruno erzählte ihr von seiner Arbeit als Immobilienmakler für renommierte Luxusvillen und mit welchen unverschämten Methoden Millionäre feilschen würden. Er selbst gab zu, sich nichts aus dem ganzen Geld zu machen, nicht zu letzt weil seine Exfrau, eine einst berühmte Schauspielerin, sich fast sein ganzes Vermögen nun unter den Nagel reissen würde und er darum lieber weniger hätte.
Seine Gesundheit hätte lange unter der Scheidung gelitten und er müsse immer noch vor den Paparazzi auf der Hut sein, die ihm ab und an auf den Fersen seien und sich machmal sogar in seiner Einfahrt verstecken würden. Dabei hätte er doch nur all zu gerne ein ganz normales Leben gehabt und wäre auch gerne Vater geworden, wenn die gierige Exe damals nicht nur an ihre Schauspielkarriere gedacht hätte oder mit wem sie als nächstes schlafen könne.
Doch zum Glück gehe es ihm nun wesentlich besser und er müsse sich nicht mehr vor einer paranoiden und hochgradig eifersüchtigen Verrückten fürchten, wenn er hier so ausgelassen mit einer derart tollen Frau, wie Eleonora säße und ein so wohltuendes und schönes Gespräch genießen könne wie er es mit keiner anderen Frau zuvor so intensiv erlebt hätte.
Eleonora fühlte sich geschmeichelt, schaute verlegen an ihm vorbei und bemerkte, wie beim Gedanken, dass er am nächsten Tag wieder abreisen würde, Traurigkeit aufkam.
Bruno lebte in der Schweiz. Am nächsten Tag verabschiedeten sie sich mit einer kurzen Umarmung und Eleonora setzte sich gefasst an ihren Computer, um mit der Buchhaltung fort zu fahren.
Eine halbe Stunde später bekam sie eine Email von Bruno.
Er bedankte sich für den schönen Abend mit ihr und würde das gerne wiederholen, schrieb er.
Ein netter gelber Smiley ließ auch Eleonora lächeln und sie schrieb prompt zurück, dass sie sich freuen würde, Punkt Punkt, Punkt, Doppelsmiley, Lg E.
Nur 3 Tage später überraschte er sie unerwartet im Hotel und nahm sich erneut ein Zimmer.
Am 4. Tag gestand er ihr offen seine Gefühle und dass er an nichts anderes mehr denken könne.
Am 10. Tag kam er wieder ins Hotel und sie verbrachten die ganze Nacht im Freien. Sie redeten so lange, bis sie unter klarem Sternenhimmel auf einer Picknickdecke nebeneinander einschiefen.
Am 17. Tag hatten sie endlich ein ganzes Wochenende für sich alleine.
Am 25. fuhren sie turtelnd für eine Woche zum Segeln nach Monte Carlo.
Am 30. wollten sie nie mehr ohne einander sein.
Und am 42. Tag war er verschwunden.
Eleonora verstand den Erdball nicht mehr.
Hatte sie irgend etwas übersehen? War ihm etwas zugestoßen? Hatte sie etwas falsch gemacht?
Zwei ganze Tage lang analysierte sie unter Tränen alle Szenen von A bis Z, von vorn bis hinten, von Pontius und durch den monatlichen Zyklus ihrer schmerzhaften Menstruation, bis sie auch bei Herrn Pilatus das Powerhouse fand und einmal Blutmond und zurück, aber sie konnte sich immer noch nicht erklären, warum Mr. „Ochs-fort“ wie eine Sternschnuppe auf allen Kanälen plötzlich verglüht zu sein schien und jetzt keinerlei Lebenszeichen mehr von sich gab.
Am nächsten Tag kam ein handgeschriebener Brief mit dieser kurzen Nachricht an:
Hallo Ella.
Es tut mir leid, ich kann das nicht.
Brauche Zeit für mich. Bitte sei mir nicht böse.
B.
Eleonora kämpfte mit ihrer Wut und mit ihrer Enttäuschung zugleich. Sie hatte schon viel über die Psychologie der Liebe gelesen, aber so eine Nummer war auch ihr noch nicht unter gekommen.
Was für ein aufgeblasener Phrasen-Drescher das doch war, ihr erst ein Sommermärchen vorzuspielen, ihr die schönsten Himmelsworte zu flüstern und dann mit seinem Monster-Ego die Fliege zu machen.
Hatte er sich bei seiner Exfrau Schauspielunterricht geben lassen oder hatte er nur ein ausgeprägtes Talent, derartige Höhenflüge zu veranstalten, dass einem der Schimmel in den Augenkammern und die Sjögren-Wüste im Munde wächst?
Er schien den Fingerwickelknoten jedenfalls gut zu beherrschen. Wochenlang flutete er mit Eleonora im rosaroten Rampenlicht und wechselte seine Anpassungsfähigkeiten und seine rhetorischen Geschicklichkeiten, so wie sie von Nöten waren, um das Bild des perfekten Mannes stabil zu halten, sowohl in seiner heroischen Qualifikation, wie auch in seiner humanistischen Vollendung.
Die Schwafel-Staffel auf dem Blender-Sender. Läuft!
Seine Masche? Irgendwie link.
Sein Gegenüber wird zunächst in einen wohltuenden Glücksschlaf versetzt, während der narzisstische Nasenbär im rhythmischen Takt genüsslich den Heldentanz steppt und sich in pharisäische Inszenierungen suhlt, bis er keine Lust mehr hat und dem Schlafenden auf brutale Art und Weise seine Träume entreisst.
Was sind das für Menschen?
Das Beispiel von Eleonora und Bruno ist gewiss kein Einzel-Fall!
Die Thematik bezieht sich auch nicht zwangsläufig nur auf unglücklich endete Liebesgeschichten.
Es gibt sie überall!
Im nahen, wie im fernen Umfeld und selbst da und dort, wo man sie am wenigsten erwartet hätte.
Heißluftartisten!
Bla Bla en masse und poco Tun Tun!
Sie reden, aber tun nicht viel. Versprechen, doch sie halten nicht. Erzählen und vergessen wieder. Und nicht all zu selten ziehen sie sich auch zurück oder geben ihre Verantwortung an den anderen ab.
Der narzisstische Nasenbär, wie oben beschrieben, liebt sich selbst gerne in der Rolle, in der er am besten anzukommen scheint. Er vermeidet jedoch sein wahres Gefühlschaos und deckelt es so lange, bis der Druck nicht mehr zu ertragen ist.
Dann erfindet er oftmals schwammige Beruhigungsfloskeln oder indirekte Ausreden. Manchmal entschuldigt er sich auch reuevoll. Das dient nicht selten nur seiner eigenen Gewissensberuhigung und hat in diesem Fall nichts mit seinem Gegenüber, dem Pechvogel zu tun.
Der Pechvogel wird zu Beginn durch Nasenbär’s Auftritt verblendet. Er wird sich ahnungslos und gutgläubig hingeben, bis auch er den stinkenden Köder endlich riecht.
Langsam kommt dann Schicht für Schicht die Wahrheit ans Tageslicht und wenn der Heuchler erst einmal erkannt wird, wird man auch schnell das große Interesse an so einem Typus verlieren.
Taten sprechen eben doch mehr als Worte.
Könnte dann gut sein, dass sich der Nasenbär schon längst wieder in seine Bärenhöhle verkrochen hat, weil er weitere Konfrontationen vermeiden möchte, die ihm Kopf und Kragen kosten könnten.
Diese Menschen sind schlechte Verhandlungspartner.
Es ist fast so, als würden sie sich vor den wichtigsten Meetings drücken, um sich lieber auf all den Veranstaltung blicken zu lassen, auf denen es leckere Canapés zu Essen und guten Wein zum Trinken gibt.
Ganz egal, was auch immer sie dazu treibt und welche Gründe sie dafür haben, sich so zu verhalten. Man könnte es verstehen oder auch nicht, doch am Ende wird man seine eigene Entscheidung treffen müssen, ob man solche Personen in sein Leben einlädt oder was man mit ihnen und der Situation macht.
Lieben? Leiden? Rächen? Verändern? Verlassen? Los lassen….?!
Dein Abkommen!
Es kann dein Partner, dein Lover, dein Ex, dein Vorgesetzter, dein Kollege, dein Bruder, deine Mutter, dein bester Freund, dein Berater oder der Nachbar sein.
Entscheide, wie du damit fortfahren möchtest.
Es gibt da draußen über 7 Milliarden Erdlinge, die auf diesem wunderschönen Planeten ihr Leben gestalten und ich finde man kann sich sehr glücklich schätzen, wenn man aufrichtige Menschen um sich herum hat. Menschen, die sich ihren Unannehmlichkeiten stellen können und keine Angst vor Kritik und Kontakt haben. Menschen, die klar sind, die sich offen und authentisch zeigen können. Menschen, die vor ihren eigenen Schwächen nicht mehr flüchten, weil sie gelernt haben, damit umzugehen und solche, die die volle Verantwortung für ihr Handeln übernehmen und mutig sind.
Es ist sicherlich auch nicht einfach, selbst ein solcher Mensch zu sein. Wir alle lernen ewig, wir wachsen immer wieder, wir scheitern und wir patzen und manchmal brauchen wir auch etwas länger, um unsere Lektionen selbst zu verstehen.
Ich kenne z.B. jemanden. Sie hat vor langer Zeit einmal erzählt, dass sie eine Qi Gong DVD produzieren würde. Ich habe geduldig gewartet und auch nachgefragt und nichts mehr groß von ihr gehört.
Heute früh bekam ich doch tatsächlich unerwartet Post von ihr. Ich solle mal hier reinschauen, hieß es:
Und bevor du jetzt reinschaust, mag ich dir noch einen wirkungsvollen Segensspruch mitgeben.
Er ist von Jamal al Dins entferntem Cousin, einem Zaubermeister-Gesellen aus Weimar, damit auch in deinem Leben zukünftig all die oben beschriebenen „Nasenbären“ und Heißluftballonis fern bleiben. 😉
Schwalle! Schwalle
über Ecken
dass, die Zecken
Feuer spucken
und mit ihrem Kunstgelalle
sich ins Lügenmeer verdrücken.
😛
© 2018 geschrieben von Anastasia Evgeniou